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Umwelt und Klima
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Das Kind beim Namen nennen - es ist der Verkehr!

Am letzten Wochenende ( 23.10.22) nahm sich der Tagesspiegel unter dem Titel "Ungesund kostet extra" den neu veröffentlichen „Atlas zur Verteilung der Umweltbelastungen im Stadtgebiet“ vor und legte die Karte der aktuellen Angebotsmieten für Wohnungen daneben.

Gedanken zu dem Tagesspiegel-Artikel von Christiane Heiß (Vorstand VCD Nordost) und Regine Wosnitza (Geschäftsführerin VCD Nordost)

Bravo: Endlich wissen wir, dass der Immobilienmarkt blind für Verkehr und Umweltqualitäten ist. Die Lage ist eben manchmal verkehrsreich, aber die langfristigen Gesundheitsfolgen werden ausgeblendet. Denn die teuersten Angebotsmieten bieten im öffentlichen Raum „Schlechte Versorgung innerhalb des S-Bahnrings“, „Umweltbelastete Gegenden sind am teuersten“ und „Wenig Grün für Frauen.

Wir haben die Thesen nachwirken lassen und empfehlen, die Verkehrsbelastung durch motorisierten Verkehr auch noch danebenzulegen.

Doch einen Schritt zurück. Als erster Metropolenraum bundesweit erarbeitete das Land Berlin ein Konzept zur Umweltgerechtigkeit. Der Bericht mit Karten zur räumlichen Verteilung von Umweltfaktoren und sozialer Lage wurde 2019 veröffentlicht. Hierzu wurden Daten herangezogen, die ab 2008 in einem ressortübergreifenden Modellvorhaben zusammengestellt worden waren.

Anfang 2020 richtete das Unabhängige Institut für Umweltfragen e.V. (UfU) gemeinsam mit dem BUND Berlin und dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg den Kongress „Umweltgerechtigkeit in Berlin – Vom Konzept zur Praxis“ aus. Dieser wurde von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz finanziert und stellte u.a. die Frage, wie die Konzeption der Umweltgerechtigkeit in die bezirkliche Praxis überführt und als Leitlinie für eine ökologische und gesundheitsorientierte Quartiersentwicklung verankert und realisiert werden kann. Denn die großen Förderprogramme des Städtebaus berücksichtigen soziale Ungleichheiten, aber keine Verkehrs- und Umweltbelastungen.

In die Umweltgerechtigkeitsanalyse fließen die fünf Kernindikatoren Lärmbelastung, Luftschadstoffe, Bioklimatische Belastung, Grün- und Freiflächenversorgung und Soziale Benachteilung ein. So wird deutlich, dass Umweltbelastungen, und soziale Gerechtigkeit aufs engste miteinander verknüpft sind. Statistisch stehen gute Umweltbedingungen am Wohnort und eine längere Lebenserwartung in direkter Beziehung. Umweltgerechtigkeit verfolgt deshalb das Ziel, umweltbezogene gesundheitliche Beeinträchtigungen zu beseitigen sowie bestmögliche umweltbezogene Chancengleichheit herzustellen.

„Die Aktualisierung des Umweltgerechtigkeitsatlas ist ein wichtiger Schritt, um zu sehen, in welchen Kiezen Menschen besonders hohen gesundheitsschädlichen Umweltbelastungen ausgesetzt sind,“ ließ Umweltsenatorin Bettina Jarasch zur Aktualisierung im August 2022 verlauten. „Der Atlas zeigt uns, auf welche Kieze wir unser Augenmerk für entsprechende Programme richten müssen und er bestätigt, dass Umweltschutz nach wie vor eine brennende Frage der Gerechtigkeit ist: In Berlin sind immer noch Menschen mit niedrigem sozialen Status besonders häufig hohen Umweltbelastungen ausgesetzt – sie leben in Kiezen mit viel Verkehr und wenig Grün. Wir müssen es schaffen, die Lebensqualität gerade in diesen mehrfach belasteten Gebieten zu erhöhen.“

Zurück zum Tagesspiegelartikel: Der Umweltgerechtigkeitsatlas bietet eine Fülle an Datenmaterial und Karten und der Artikel informiert darüber, dass Mitte die meisten mehrfach belasteten Quartiere hat, dicht besiedelt ist, dass die dort herrschende dreckige Luft schädlich ist, Grünflächen fehlen.

Das Wort „Verkehr“ fällt einmal. Verkehr ist aber die alles andere überwiegende Ursache für Lärm, Luftschadstoffe und sogar Hitzeinseln, die zu über 50% Verkehrsflächen sind.

Und dann schlussfolgert der Tagesspiegel richtig: „In Mitte, dem am meisten belasteten Bezirk, sind die Angebote für Mietwohnungen am teuersten: 14 Euro pro Quadratmeter im Durchschnitt. Die Situation ist tatsächlich „bizarr“, wie der Tagesspiegel meint. Der Tagesspiegel gibt die Richtwerte vor: Bessere Versorgung und Erreichbarkeit von Grünflächen.

Das kann in der Innenstadt nur über die Umverteilung von öffentlichen Flächen, also Straßen und mit dem Verkehr verbundenen Flächen gelingen. Auf Flächengerechtigkeit, die aus dieser Umverteilung resultieren, legen wir vom VCD Nordost besonderen Wert. Denn nur wenn es eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Straßenraums zwischen den verschiedenen Verkehrsformen gib, erreichen wir ein faires Miteinander aller Verkehrsarten. Hierbei sollten wir uns von alten Denkmustern verabschieden, die dem Mobilisierten Indivualverkehr einen Vorrang einräumt.

Höchste Zeit auch, dass die These von einer Gentrifizierung durch Verkehrsberuhigung als Märchen eingeordnet wird. Der Immobilienmarkt ignoriert weitgehend Gesundheitsschäden durch Verkehr. Besondere Lagen, wie direkt neben der Autobahn am Innsbrucker Platz bleiben dennoch gerne für Sozialwohnungen reserviert. Armut wohnt an der (Stadt)-Autobahn.

Wir begrüßen die Tatsache, dass Politik und Medien das Thema Umweltgerechtigkeit vermehrt aufgreifen. Für das Erreichen dieses Zieles ist es unabdingbar, dass die Senatsverwaltung für UMVK und die für Stadtentwicklung sich gemeinsam mit der Frage nach einer gesundheitsverträglichen Verkehrsmenge und Umverteilung des öffentlichen Raumes in den mehrfach belasteten Quartieren beschäftigen.

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